Vor ein paar Tagen hatte ich ein sehr interessantes Gespräch. Es ging um Beziehungen. Die Dame hat gerade entsetzlichen Liebeskummer und hat mir ein wenig davon erzählt. Je mehr ich ihr zuhörte, desto mehr erkannte ich Parallelen zu mir und meinen früheren Beziehungen. Da ging es um die totale Selbstaufgabe, Aufopferung und nur noch für den anderen da sein wollen. Jede freie Minute gemeinsam mit dem anderen zu verbringen, wissen zu wollen was er denkt, fühlt, wie es ihm geht, ob wohl alles in Ordnung ist und man nicht doch noch ein wenig mehr tun könnte, damit es dem anderen noch besser geht.
Der ganze Tag drehte sich eigentlich nur noch um diese eine Person. Das mag vielen bekannt vorkommen, in der ersten Phase der Verliebtheit, doch wenn es über Monate oder Jahre anhält und sogar noch intensiver und enger wird, dann ist der Verlust des eigenen Selbst vorprogrammiert. Zumindest war er bei mir so, jedes Mal. Und dieses Gespräch mit dieser Frau hat mich daran erinnert wie ich früher meine Beziehungen gelebt habe. Je enger, desto besser, je weniger Zeit allein umso lieber. Und ich versuchte immer genau so zu sein wie mich mein aktueller Partner haben wollte, oder zumindest wie ich dachte, dass er mich haben will.
Vollkommen gleichgültig wie ich es empfand oder was ich wollte, meistens wusste ich das zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr. War ich doch viel zu sehr damit beschäftigt rauszufinden was mein Partner wollte und wie ich das am besten umsetzen konnte. Aber nicht nur die Frage was er wollte beschäftigte mich, sondern auch wie er mich wollte. Wie ich sein musste um geliebt zu werden, welche Art von Frau ich sein musste oder sollte um die Bedürfnisse und Wünsche meines Partners vollends zu befriedigen. Das tragische an dieser Sache war, dass ich meine Rolle bis zur Perfektion ausübte und nicht bemerkte, dass das nicht Ich war.
Versteht mich nicht falsch, keiner meiner Partner hat mich dazu aufgefordert jemand anders zu sein als ich, schließlich hatten sie sich ja in mich, Michi verliebt. Ich bin davon ausgegangen, dass man mich anders haben wollte. Dass ich, so wie ich war, nicht gut genug, nicht schön genug, nicht liebenswert war. Ich war schon immer ein sehr guter Zuhörer und Beobachter und so konnte ich mir im Laufe der Kennenlernphase ein gutes Bild davon machen, welche Merkmale die Traumfrau von meinem Schwarm haben sollte und begann akribisch genau mich auf diese Rolle einzustellen. Schließlich wollte ich die eine sein, ich wollte seine ungeteilte Aufmerksamkeit und ich wollte, dass er wirklich rundum zufrieden ist um sicherzustellen, dass er mich nie verlassen würde. Schließlich war ich ja dann alles was er braucht und sich wünschte, dachte ich zumindest.
Dass dieser Job ziemlich anstrengend ist und irgendwann zur Erschöpfung und Unzufriedenheit führt, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Erschwerend kam hinzu, dass ich durch meine Rolle die ich spielte noch unsicherer wurde, als ich ohnehin schon war. Ich hatte sowieso wenig bis kein Selbstwertgefühl und durch das ständige Spielen, Überspielen, Runterschlucken und Anpassen, war ich vollends verloren. Verloren in Rollen, verloren in Masken und Szenen in denen ich mich einfach nicht mehr wiederfinden konnte und der Selbsthass stieg weiter.
Da ich tief in mir fühlte, dass ich oft über meine Grenzen ging oder nicht zu dem stand was ich wollte, auch wenn ich nicht wusste, was das war. Aber immerhin hatte ich einen Menschen der mich liebte und den ich liebte und ich fühlte mich nicht ganz so wertlos und umsonst auf dieser Welt. Denn ohne meine bessere Hälfte hätte ich nicht hier sein wollen, so viel Spaß machte mir das Erdendasein dann doch nicht. Durch den Partner wurde es erträglich und oft auch wirklich schön. Er machte mich glücklich, er machte meinen Tag bunt, er gab mir das Gefühl gern am Leben zu sein. Kein Wunder, dass ich ihn niemals verlieren wollte, wäre dann auch mein Grund Hier sein zu wollen verschwunden.
Und obwohl ich alles tat, alles war, was ich dachte, das von mir erwartet wurde, hatte ich immer noch Angst verlassen zu werden. Ausgetauscht zu werden, nicht zu genügen und war unsagbar eifersüchtig. Überall witterte ich potenzielle Gefahren. Diese Frau könnte ihm besser gefallen, das könnte ihm zu wenig sein etc. etc. etc. Je mehr ich versuchte so zu sein wie ich glaubte sein zu müssen, desto misstrauischer und besitzergreifender wurde ich. Es war ein Teufelskreis. Ich wollte ja vertrauen, ich wollte ja glauben, dass man mich wirklich liebt um meiner Selbstwillen. Doch wen zum Henker liebte er eigentlich? Und wie konnte man mich lieben, wenn ich selbst nicht dazu im Stande war, geschweige denn nicht wusste wer ich war? Ich wusste nur, dass ich sterben würde, wenn mich der andere verließ, war er doch meine ganze Welt. Wenn er ging, hatte ich nichts mehr und würde aufhören zu existieren.
Dieses Muster behielt ich über viele Jahre bis ich realisierte, dass ich in jeder Beziehung den anderen so viel bedeutsamer, größer und wichtiger gemacht habe, als mich selbst, dass ich tatsächlich aufhörte zu existieren, da ich aufhörte ich selbst zu sein. Und früher oder später kam dann immer ein verzweifelter Befreiungsschlag. Ich wollte raus. Ich wollte ich sein. Ich wollte allein sein. Doch auf der anderen Seite war diese große Angst allein zu sein, niemanden mehr um mich zu haben und allein mit mir und meinen Gedanken zu sein. Ohne einen Sinn zu sehen am Leben zu sein. Und so übte ich mich wieder im Anpassen, spielte meine Rolle noch besser und leugnete alle Wünsche und Träume, die tief in mir keimten.
Und nach jeder Trennung beschloss ich es anders zu machen, mich nicht mehr aufzugeben, mich nicht mehr in einem anderen zu verlieren und ihn für mein Glück oder Unglück verantwortlich zu machen. Doch ich ertappte mich immer wieder dabei in das alte Muster zu verfallen, war es doch so vertraut und gewohnt, und irgendwie gab es mir auch Sicherheit. Doch je mehr ich mich mit mir selbst beschäftigte, mich wirklich mit mir auseinandersetzte, desto mehr begriff ich, dass ich auch alleine leben konnte. Schließlich tat ich das in meinen Beziehungspausen immer wieder mal, und das ganz gut.
Ich begriff, dass ich niemanden brauche um glücklich zu sein, dass ich keinen anderen verantwortlich machen konnte und wollte einen Sinn im Leben zu haben. Ich realisierte was für eine riesige Bürde ich ihnen auferlegte, indem ich sie für mein Glück engagierte und ihnen immer wieder mitteilte, wie sehr ich sie brauchen würde und verloren sei, würden sie gehen. Ich selbst wollte auch nicht die Schuld oder den Job haben für das Glück eines anderen tagtäglich verantwortlich zu sein.
Ich wollte auch keine Angst haben, dass er sich etwas antut, wenn ich gehe oder Abstand brauche. Schritt für Schritt begann ich wieder mehr ich zu sein, mehr für mich zu tun, bewusst allein zu sein und es zu genießen. Ich begann mich zu fragen was ich will und was ich nicht will, mehr zu mir zu finden, mehr auf mich und meinen Körper zu hören. Ich begann mich zu achten, zu lieben und meine Wünsche ernst zu nehmen. Ich begann mir zuzuhören, ich begann mich wichtig zu nehmen und ich begriff, dass niemand auf dieser Welt mir einen Sinn im Leben geben kann und muss.
Niemand auf dieser Welt ist dafür zuständig mich glücklich zu machen. Das ist einzig und allein mein Job. Und es ist eine Lebensaufgabe, die ich mit Freuden annehme und jeden Tag aufs Neue darf ich dazu lernen, neues über mich und über das Leben und den Sinn. Dieses Gespräch hat mir gezeigt welchen Weg ich hinter mir habe, wo ich heute stehe und wie gut es mir damit geht. Ich bin auf meinem Weg zu mir, jeden Tag ein bisschen mehr, natürlich gibt es Rückfälle, natürlich gibt es miese Tage, aber ich bin ich und ich werde es jeden Tag ein bisschen mehr und dafür bin ich dankbar…